Neue Therapie gibt Hoffnung - Mini-Sonde schaltet Cluster-Kopfschmerz ab
Neue Therapie gibt Hoffnung - Mini-Sonde schaltet Cluster-Kopfschmerz ab
29.08.2014
Dr. Andreas Böger, Chefarzt der Klinik für Schmerzmedizin & Leiter des Clusterkopfschmerz-Competence-Center Foto: RKH Kassel
In Deutschland leiden nach Schätzungen etwa 150.000 Menschen unter Cluster-Kopfschmerz. Männer sind bis zu viermal häufiger davon betroffen als Frauen. Dr. Andreas Böger, Chefarzt der Klinik für Schmerzmedizin und Leiter des Clusterkopfschmerz-Competence-Center (CCC) am Roten Kreuz Krankenhaus Kassel, über Symptome, Behandlungen und ein neues Therapieverfahren
1. Welches sind die charakteristischen Merkmale von Cluster-Kopfschmerz?
Cluster-Kopfschmerz gehört zu den schwersten Kopfschmerzerkrankungen überhaupt. Er ist charakterisiert durch stechende, streng einseitige, sehr starke und plötzlich auftretende Schmerzen vor allem hinter dem Augen und der Schläfe. Hinzu kommen tränende Augen, eine gerötete Bindehaut und eine verstopfte Nase auf der Schmerzseite. Bei der Mehrzahl der Patienten kommt es saisonal im Frühjahr oder Herbst zu Cluster-Kopfschmerz-Episoden. Im Anschluss daran sind die Patienten oft über Monate oder Jahre beschwerdefrei.
Die Kopfschmerz-Attacken treten meist nachts gehäuft auf, in einem Zeitraum von einigen Wochen bis mehreren Monaten. Sie dauern etwa 15 Minuten bis drei Stunden. Im Gegensatz zur Migräne ziehen sich die Patienten nicht in abgedunkelte Räume zurück, sondern haben während der Schmerzattacke einen erhöhten Bewegungsdrang. Sie sind unruhig, laufen hin und her wie ein eingesperrter Tiger im Käfig. Männer sind wesentlich häufiger betroffen als Frauen. Die Ursachen von Clusterkopfschmerz sind nicht bekannt.
2. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Man unterscheidet die Prophylaxe und die Akuttherapie. Die Akuttherapie erfolgt mit Sauerstoff. Der Patient bekommt eine 10 Liter Sauerstofflasche und inhaliert ihn über eine Atemmaske ungefähr vier Minuten nach den ersten Anzeichen einer drohenden Anfallsattacke. In der Regel ist der Schmerzanfall dann nach fünf Minuten vorbei.
Neben der Sauerstofftherapie gibt es noch die Therapie mit einem Triptan-Spray. Das Spray wird in das Nasenloch der Seite gesprüht, das nicht verstopft ist. Nach 10-15 Minuten ist hier die Schmerzattacke vorbei. Triptane sind Wirkstoffe zur Behandlung von Migräne. Sie verengen die großen Blutgefäße im Gehirn und blockieren die Übertragung der Schmerzempfindung. Diese Medikamente sollten nicht häufiger als zweimal täglich und nicht länger als zehn Tage im Monat eingenommen werden, da sie sonst zu medikamentös bedingten Dauerkopfschmerz führen können.
Die Prophylaxe der heftigen Cluster-Kopfschmerz-Attacken erfolgt mit Medikamenten verschiedener Substanzklassen. Deren Wirkmechanismus ist bislang noch nicht vollständig verstanden. Welche eingesetzt werden, hängt vom Verlauf des Cluster-Kopfschmerzes und von eventuellen Begleiterkrankungen des Patienten ab. Häufig eingesetzt und in der Regel gut verträglich ist der Wirkstoff Verapamil. Er dient ursprünglich der Behandlung einer unzureichenden Sauerstoffversorgung des Herzmuskels. Bis die Wirkung von Verapamil eintritt können mehrere Tage bis Wochen vergehen. Die Dosis wird unter ärztlicher Aufsicht langsam angepasst bis die richtige Menge erreicht ist, um die Kopfschmerzanfälle zu unterdrücken.
3. Eine neue Therapie ist die Implantation einer kleinen Sonde. Wer bekommt diese sogenannte SPG-Sonde?
Die SPG-Sonde ist zugelassen für Patienten, die unter chronischem Cluster-Kopfschmerz leiden. Aber auch Menschen denen langfristig nichts anderes hilft, die bei den anderen gängigen Therapien unter erheblichen Nebenwirkungen leiden und deren Leidensdruck so groß ist, dass sie ihren Job verlieren und nicht mehr aktiv am Leben teilnehmen können, kann mit der Sonde geholfen werden.
4. Wie sieht die Sonde aus? Wie läuft die OP ab?
Die SPG-Sonde ist so groß wie die Feder eines Kugelschreibers. Sie ist ein sogenannter Neurostimulator. Das heißt, sie stimuliert ein Nervenbündel hinter dem Wangenknochen, das sogenannte Ganglion sphenopalatinum (SPG). Über einen kleinen Einschnitt außerhalb der Zahnreihe am Kieferhöhlenknochen setzt der Mund-Kiefer-Gesichtschirurg die Sonde von innen in die Wange des Patienten ein. Die Spitze des Implantats wird an dem Nervenknoten platziert. Die OP wird unter Vollnarkose durchgeführt und dauert etwa eine Stunde. Wenn es keine Komplikationen wie etwa Wundinfektionen gibt, bleiben die Patienten drei Tage in der Klinik. Nach zwei Wochen kommen sie noch einmal zum Fäden ziehen vorbei.
5. Welche Risiken gibt es bei der OP?
Dieselben wie bei jeden kleineren chirurgischen Eingriff: Wundinfektion, verzögerte Wundheilung. Äußerlich sind keine Narben zu sehen, jedoch kann es zu einem Bluterguss kommen.
6. Wie funktioniert die Sonde? Kann man sie mit einem Herzschrittmacher vergleichen?
Die Sonde funktioniert nicht wie ein Herzschrittmacher, denn sie enthält keine Batterie und wird von außen über eine Fernbedienung gesteuert. Diese Fernbedienung ähnelt einem großen Mobiltelefon. Der Patient hält sie im Schmerzfall an die Wange. Das löst über Induktion die Sonde aus, die dann das Nervenbündel hinter dem Wangenknochen stimuliert. Das elektrische Signal führt dazu, dass die Nervenbotenstoffe herabgesetzt werden, die bei der Übertragung der Schmerzimpulse eine Rolle spielen. So ist eine Schmerzlinderung oder Schmerzbefreiung innerhalb von 15 Minuten möglich. Der Patient verspürt beim Auslösen der Sonde ein Kribbeln, manchmal wird auch Tränenfluss ausgelöst.
In den ersten vier Wochen nach der Operation ist die Sonde noch inaktiv. Danach werden in der Klinik die individuellen Reizparameter eingestellt, also Frequenz, Impulsdauer und Signalstärke. Eine Nachkontrolle ist alle vier Wochen erforderlich, so lange bis es funktioniert.
7. Wann ist der Patient wieder arbeitsfähig?
Das ist individuell verschieden, aber im Durchschnitt nach ungefähr einer Woche.
8. Worauf muss man nach der OP achten?
In den ersten Tagen sollten die Patienten nicht rauchen und keinen Kaffee trinken. Außerdem sollten sie Leistungssport vermeiden. Ansonsten gibt es aber nichts, was sie aufgrund der implantierten Sonde in der Folgezeit beachten müssen.
9. Wie lange hält die Sonde? Muss sie irgendwann in einer erneuten OP ausgewechselt werden?
Da die Sonde keine Batterie enthält, muss sie nicht ausgetauscht werden. Da das Therapieverfahren erst seit 2 Jahren existiert, lässt sich die Lebensdauer noch nicht präzise einschätzen.
10. Übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die OP und das Gerät?
Ja.
11. Wie sind die Erfolgsaussichten?
Sehr gut. Rund 85 Prozent der Attacken können von der Sonde unterdrückt werden. Viele Patienten sind dadurch komplett schmerzfrei geworden.